===========================
04/02/2025
Als Freelancerin dachte ich, würde ich meine „Montagsdepression“ endlich loswerden, aber sie ist immer noch da. Das liegt daran, dass die Firma in Berlin, für die ich tätig bin, jeden Montag eine virtuelle Besprechung organisiert, um die Woche zu beginnen. Zwar ist mein Arbeitsaufkommen nicht sehr hoch, aber meine Rolle ist ausreichend bedeutend, dass sie auf meine Unterstützung als Freelancerin angewiesen sind.
Im vergangenen Sommer habe ich meine berufliche Laufbahn grundlegend verändert. Dabei habe ich mir gelobt, nie wieder in einer herkömmlichen Unternehmensstruktur zu arbeiten. Zunächst einmal wollte ich mir Zeit für mich selbst einräumen – zum Schreiben, Lesen, Spazierengehen, Sporttreiben und für meine Familie. Ich war bereit, jede Art von Arbeit anzunehmen, solange ich nicht an einen festen Zeitplan oder an ein bestimmtes Unternehmen gebunden war.
Weltweit gibt es zahllose Aufgaben, die irgendjemand zu erledigen hat. Bei meinem Einstieg in die Freiberuflichkeit wurde mir klar, wie vielfältig und umfangreich die Arbeit sein kann. Für mich war ein einfacher Workflow wünschenswert: Aufgabe bekommen – erledigen – abgeben – bestätigen lassen – Geld erhalten. In meinen bisherigen Tätigkeiten hatte ich stets in Bereichen gearbeitet, die kontinuierliche Kommunikation und Beziehungsmanagement verlangten. Daher wollte ich mir eine Auszeit von dieser Anforderung nehmen. Die meisten meiner Freelance-Projekte folgten genau diesem Muster – mit Ausnahme des Unternehmens in Berlin.
Von Beginn an gab es etwas Ungewöhnliches. Als der Chef nach nur wenigen Nachrichten ein Video-Interview vorschlug, war ich überrascht – es fühlte sich fast wie ein echtes Bewerbungsgespräch für eine Festanstellung an.
Nachdem ich die Rolle angenommen hatte, führte der Chef meine Software-Schulung persönlich durch. Die ursprünglich für eine Stunde anberaumte Sitzung entwickelte sich zu einem zweieinhalbstündigen Gespräch, das von zahlreichen Fragen und Antworten geprägt war. Er blieb dennoch ruhig und geduldig, erklärte alles im Detail und zog eindeutige Schlussfolgerungen. Es war zu spüren, dass er seine Arbeit wirklich liebte. Er vermittelte mir nicht nur den Eindruck eines Chef, sondern auch den eines Lehrers aus Berufung.
Anfangs war meine Arbeit so unkompliziert, wie ich es erwartet hatte. Doch einen Monat später fragte er mich, ob ich bereit wäre, mehr Verantwortung zu übernehmen. Da ich stundenweise bezahlt wurde, bedeutete selbst eine kleine Erweiterung meiner Aufgaben mehr Einkommen. Ich nahm das Angebot an, weil ich herausfinden wollte, wie weit ich alleine, ohne die Hilfe meines deutschen Partners, kommen konnte. Aber die neuen Aufgaben beinhalteten Kundenbetreuung – und damit wieder die direkte Interaktion mit Menschen, die ich eigentlich bewusst vermeiden wollte.
Plötzlich befand ich mich in einer merkwürdigen Zwischenwelt – weder komplett Freelancerin noch vollständig Unternehmensmitarbeiterin. Ich musste mit dem Chef, Entwicklern und anderen Teammitgliedern kommunizieren. Und wöchentliche Meetings gab es obendrein. Außerdem musste ich mich intensiv mit der Software auseinandersetzen und plötzlich technische Details verstehen. In manchen Wochen häuften sich die Meetings so sehr, dass mein Stresslevel ins Unermessliche stieg. Das hatte ich mir anders vorgestellt! So war das nicht gedacht!
Irgendwann kam der Punkt, an dem ich völlig ausgebrannt war. Als ich dem Chef offen von meinen Schwierigkeiten erzählte, reagierte er – wie immer – mit Freundlichkeit und entschuldigte sich dafür, dass die Arbeit mich überfordert hatte. Aber seltsamerweise fühlte ich mich schon erleichtert, sobald ich es ausgesprochen hatte. Ein Großteil des Stresses löste sich in Luft auf. Vielleicht war der Burnout nur eine Folge davon, dass ich mich in der Materie noch nicht sicher genug fühlte. Je besser ich mich in die Arbeit einfinde, desto weniger Stress werde ich haben, oder?
Nach einer Weile gewöhnte ich mich an die Software, das Team und die Arbeitsweise des Chefs. Es war eine wertvolle Lernerfahrung für mich, zu beobachten, wie Deutsche arbeiten und welche Tools sie verwenden, um große, verstreute Aufgaben effizient zu bewältigen. Als ich anfing, Gefallen an dem Prozess zu finden, kam eine neue Motivation hinzu: Ich wollte meine Arbeit gut machen und dafür Wertschätzung erfahren.
Fast mit dem ersten Licht des Tages beginnt der Chef seinen Tag, hinterlässt als Erstes eine freundliche „Good morning!“-Nachricht und macht sich dann an die Arbeit. Seine Augen strahlen wie die eines enthusiastischen Gamers, der vollkommen in seinem Element aufgeht. Bei einem Fortschritt eines Kollegen – ganz gleich, wie geringfügig – zollt er ihm umgehend Anerkennung. Er verfasst herzliche Dankesnachrichten und erinnert sich an Arbeitsjubiläen. Während ich ihn so ansah, kam mir der Gedanke: Augenblick mal, gibt es wirklich solche Geschäftsführer?
Menschen, die ehrlich sind und mit Hingabe ihrer Arbeit nachgehen, bewundere ich. Es fühlt sich fast wie ein Privileg an, seine Art zu arbeiten aus nächster Nähe zu erleben. Vielleicht hat dieser Job genau dann in meinem Leben begonnen, als es passend war. Zwar habe ich mich bewusst dagegen entschieden, Teil eines Unternehmens zu sein, aber es hat einen ganz eigenen Wert, neue Rollen auszuprobieren und in andere Welten einzutauchen. Letztlich sind auch Freelancer Menschen, die ihre Arbeit machen. Vielleicht bringt mir das Universum gerade Struktur und Durchhaltevermögen bei.