Eingekesselt in DonezksteemCreated with Sketch.

in ukraine •  7 years ago  (edited)

In dem Film "Frontstadt Donezk" beleuchten die Filmemacher Mark Bartalmai und Nelja Oystrakh den Alltag einer Gesellschaft, die sich an den Geschützdonner gewöhnt hat, aber sich nach Frieden sehnt

Sommer in der Innenstadt von Donezk. Das sind Musik, Blumenbeete und Eis am Stil. Das sind Jugendliche, die in vollen Klamotten in einen See springen, Eltern, die mit ihren Kindern spazieren gehen, und Omis, die bei einem Plausch auf der Parkbank die Wärme genießen. Ein paar alte Männer machen Straßenmusik. Auf einer Bühne entlockt ein Rocker seiner E-Gitarre ein mitreißendes Blues- Solo.

Die Dokumentarfilmer Mark Bartalmai und Nelja Oystrakh haben einen neuen Film gemacht, "Frontstadt Donezk - Die unerwünschte Republik" (Trailer). Er handelt vom Leben der einfachen Leute in der international nicht anerkannten "Volksrepublik Donezk" (DNR). Zwölf Monate haben sie dafür ununterbrochen in Donezk gelebt.
"Von Zeit zu Zeit wird geschossen"

Was ihn am meisten erstaune, sei "das absurde Nebeneinander von Krieg und Frieden", erklärt Mark Bartalmai, der im Film immer wieder als Erklärer auftritt. An der Front kämpften die Soldaten der DNR-Streitkräfte "im wahrsten Sinne des Wortes um ihr Leben", und je weiter man von der Front wegfährt, desto normaler wird das Leben. Eine junge Frau sagt, "von Zeit zu Zeit wird geschossen. Wir versuchen das zu ignorieren. Das dauert schon ein Jahr und wir haben uns quasi daran gewöhnt. Krieg ist Krieg, aber wir leben trotzdem weiter." Ein junges, etwa achtjähriges Mädchen erzählt - mit der Gelassenheit einer Erwachsenen -, wie sie die Beschießungen ihres Wohnviertels erlebt.

Frontstadt Donezk - Die unerwünschte Republik

Die beiden Dokumentarfilmer haben überall hingeguckt und Fragen gestellt. Sie besuchten Schulen, ein Opern-Theater-Haus, zerbombte Wohnungen, Leichenschauhäuser, ein Bergwerk und Beamtenstuben. Sie führten Interviews mit Kindern, Eltern und alten Menschen. Ihr Fazit: Nicht alles klappt in der DNR, aber 80 Prozent der Bevölkerung würden zur international nicht anerkannten DNR stehen und nicht weg wollen.

15 Prozent der Bevölkerung haben eine kritische Haltung gegenüber der DNR und gegenüber der Ukraine. Fünf Prozent seien Kritiker der DNR. Unter diesen fünf Prozent seien viele Geschäftsleute, die 2014 Donezk verlassen haben, aber jetzt zurückgekommen sind. Vor der Kamera wollten sie nicht sprechen. "Sie sagen, wegen dem MGB (Geheimdienst der DNR) und den Nachbarn", erklärt Filmemacher Bartalmai.
Hohe Geburtenrate

Der Film zeigt Menschen, die in halbzerstörten Häusern wohnen. "Die Leute hier schlafen zu viert auf einem Bett", erzählt eine junge Frau. Aber vor allem handelt der Film von der Normalisierung des Lebens, vom Wiederaufbau der Versorgung und des Lebensraumes. Ein Zeichen der Normalisierung ist auch die Geburtenrate. Der Zuschauer erfährt, dass pro Woche 220 Kinder in der "unerwünschten Republik" geboren werden.

Man sieht von Waren überquellende Supermärkte und fragt sich, wie können die Menschen das bei Löhnen von 120 Euro überhaupt bezahlen? Im Theater sieht man Ballett-Tänzerinnen beim Training. Der künstlerische Leiter des Theaters, Wadim Pisapew, erklärt, man habe während des Krieges "keinen einzigen Tag zu arbeiten aufgehört" und sogar mehrere Uraufführungen gemacht.

Die Menschen in der Großstadt Donezk, die nur wenige Kilometer von der Demarkationslinie entfernt liegt, wissen, wie westliche Medien über sie schreiben, und reagieren auf die negativen Zuschreibungen mit Humor. "Wir sind Separatisten", sagt eine junge Frau lachend in die Kamera. "Betrachten Sie sich als Terroristen?", fragt Filmemacher Bartalmai den Rektor der Universität von Donezk, Wladimir Kaliuschchenko. "Ja, natürlich", antwortet der Rektor. Dabei lächelt er ironisch.

Nach seinem ersten Dokumentar-Film über den Krieg in der Ost-Ukraine - "Ukrainian Agony - Der verschwiegene Krieg" - wurde Bartalmai in den Fernsehsendungen "Fakt" (MDR) und "Frontal" (ZDF) Propaganda für Russland vorgeworfen. Der Dokumentarfilmer, der monatelang sein Leben bei Recherchen im Kriegsgebiet Donbass riskiert hatte, wurde dem deutschen Fernsehpublikum abfällig als "selbsternannter Kriegsreporter" vorgestellt. Er habe den Beruf des Journalisten gar nicht erlernt, hieß es. Er sei Geschäftsmann gewesen. Der Autor dieser Zeilen findet diesen Vorwurf albern, denn nicht wenige Journalisten - auch der Autor selbst - haben ihren Beruf nicht studiert, sondern sind learning by doing langsam in diesen Beruf hineingewachsen.

Als Journalist fragte ich mich, ob in der Diffamierung eines Kollegen nicht einfach Neid der westlichen Redaktionen steckt, die ihre Korrespondenten nicht in die selbsternannten "Volksrepubliken" Donezk und Lugansk schicken.

Normalerweise haben Journalisten ja keine Angst dorthin zu gehen, wo es brennt. Das ist ihr Beruf. Doch für Donezk scheint das nicht zu gelten. Die westlichen Zeitungs- und Fernsehredaktionen lassen die international nicht anerkannte Republik lieber in einem Nebel des Nichtwissens, was Kiew nur Recht sein kann.


Das Schweigen der OSZE-Beobachter

Viele Menschen in Deutschland setzen Hoffnungen in die OSZE, die mit 700 Beobachtern im Donbass zu beiden Seiten der Demarkationslinie präsent ist. Doch trotz OSZE kommt es täglich bis zu tausend Beschießungen, wie der Leiter der OSZE-Beobachter-Gruppe im Donbass, Alexander Hug, selbst mitteilt.

Der Film zeigt auf, dass Alexander Hug nicht neutral ist. Er arbeite zum Nutzen "der Ukraine", erklärte der Missionschef auf einer Pressekonferenz. Der Film weist nach, dass Hug den wichtigsten Fragen immer wieder wortreich ausweicht. Trotz mehrfachen Nachfragens von Bartalmai will der OSZE-Missions-Chef nicht sagen, wer die Wohnhäuser in Donezk beschießt, und er will auch nicht sagen, welche der beiden Seiten im Donbass-Konflikt es ablehnt, mit der anderen Seite in einen direkten Kontakt zu treten.
Screenshot Trailer "Frontstadt Donezk - Die unerwünschte Republik"

Man merkt, dass die Filmemacher dem Zuschauer möglichst viel von dem realen Leben in der DNR vermitteln wollen. Es wird fast pausenlos gesprochen und erklärt. Man wünscht sich während des Schauens Pausen, um das Gehörte zu verarbeiten und seine Frage zu formulieren. Gut wäre es auch gewesen, wenn man die einzelnen Episoden durch wiederkehrende Gesichter verbunden und nicht einfach aneinandergereiht hätte.
"Propaganda im Sinne der Menschlichkeit"

Wie wurde "Frontstadt Donezk" in Deutschland aufgenommen? Im Facebook berichteten die Filmemacher, ein Teil der Zuschauer in Deutschland reagiere feindselig. Es käme zu "hasserfüllten Angriffen". Es werde gar nicht versucht "die Filminhalte zu widerlegen."

Zu dem Vorwurf, der Film mache Propaganda, erklärte Mark Bartalmai bei einer Diskussion mit Zuschauern nach einer Filmvorführung in der Moskauer Turgenjew-Bibliothek, es sei eine Illusion zu glauben, dass man über einen Krieg völlig objektiv berichten kann, "denn hinter der Kamera steht immer ein Mensch". Ja, er mache Propaganda, "aber im Sinne der Menschlichkeit".

Ich fragte Bartalmai, ob er mit seinen beiden Filmen über den Donbass trotz der Vorwürfe Erfolg habe? Der Filmemacher antwortete, es sei schon merkwürdig, dass ARD und ZDF zur besten Sendezeit vor einem Film warnen, der nur von zwei Leuten gemacht wurde. Aber damit hätten sie "die Leute erst neugierig gemacht, weshalb sie den zweiten Film jetzt völlig verschweigen".

Einer der Zuschauer fragte, "wann Merkel endlich abtritt" und was dann kommt. Bartalmai antwortet, dass die Partei von Angela Merkel bei den nächsten Wahlen "viele Stimmen bekommen wird". Er sagte auch, dass die Alternative für Deutschland eine "sehr gefährliche, ultraliberale und ausländerfeindliche" Partei sei. In dieser Partei gäbe es zahlreiche Neonazis. Die Leute von der AfD sähen in Wladimir Putin vor allem "den starken Führer". Das einzige, was die AfD von den anderen Parteien in Deutschland unterscheide, sei, dass sie gegen die Russland-Sanktionen ist.

Ein Zuschauer fragt, wie es kommen könne, dass der Antifaschismus in Deutschland zum gesellschaftlichen Grundkonsens gehöre, "aber die Faschisten in der Ukraine unterstützt werden". Dazu der Filmemacher: "Wenn man das auf der Ebene der Ideologie analysiert, ist es ein Widerspruch." Die Deutschen würden das aber nicht ideologisch sehen.

Ihre finanzielle Situation beschrieben die beiden Dokumentarfilmer als sehr schwierig. Nur 40 Prozent der Ausgaben für den Film "Frontstadt Donezk" seien durch Spenden und den Verkauf der DVD wieder reingekommen. Anfang März wurde der Film zweimal im ausverkauften Berliner Kino Union gezeigt. Doch weitere Kinos wollen nicht zusagen. Einige Kinos hätten Drohbriefen erhalten, erzählt die Filmemacherin Neljy Oystrakh.
Zwischen den Stühlen

Während den beiden Dokumentarfilmern von deutschen Medien vorgeworfen wird, sie machten "Propaganda für Russland", begegnen ihnen offizielle russische Stellen "mit vornehmer Zurückhaltung", sagte Bartalmai. Russische Fernsehkanäle wollten den Film "Frontstadt Donezk" nicht zeigen. "Wir sitzen zwischen den Stühlen, weil man uns in Deutschland das Leben schwer macht. Und von russischer Seite gibt es bürokratische Hürden.“

Etwas genervt sind die Filmemacher auch wegen eines "gestiegenen Interesses" des russischen Geheimdienstes. Immer wenn sie aus Russland in die DNR fahren oder aus der DNR nach Russland zurückkehren, seien sie "stundenlangen Verhören" ausgesetzt. Die Situation sei "surreal", denn man arbeite ja nicht gegen Russland.

Der Autor dieser Zeilen weiß wovon die beiden reden. Er wurde im Februar dieses Jahres zweimal von russischen Beamten an der Grenze zur DNR verhört. Offenbar ist das Sicherheitsbedürfnis am Rande des Kriegsgebietes Donbass gestiegen.

Doch für Bartalmai und Oystrakh gab es nicht nur Grund zur Klage. Die kritischen Veröffentlichungen zum militärischen Vorgehen der ukrainischen Armee gegen die Zivilbevölkerung in Donezk und Lugansk hätten immerhin "Unruhe in die deutsche Medienlandschaft" gebracht, sagt der Filmemacher. Sehr gefreut haben sich die beiden Dokumentarfilmer auch darüber, dass sie für ihren neuen Film Ende Mai auf dem internationalen Filmfestival in Sewastopol zwei Auszeichnungen bekamen. Von der russischen Administration bekamen sie einen Preis für "die talentierte Widerspiegelung zeitgenössischer Ereignisse und die ethische kreative Haltung". Außerdem erhielten sie den Festival-Hauptpreis in der Kategorie "Kriegs- und Geschichtsdokumentationen".

Quelle https://www.heise.de/tp/features/Eingekesselt-in-Donezk-3737515.html

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